Bilder von Bildern

Raster und Raum

Mitte der 80-er Jahre habe ich parallel zu den bisherigen Arbeiten eine eigene Mischtechnik entwickelt. Harte Fotokopien wurden mit Pinsel und Feder überarbeitet, zerlegt und neu montiert. Die Ergebnisse waren reine Schwarz-Weiß-Grafiken ohne Halbtöne.
Nach einem Plakatentwurf über moderne statistische Verfahren biologischer Forschung habe ich mit flächigen und räumlichen Rastergittern gearbeitet. Dieses Verfahren war angeregt durch grafische Hilfsmittel für Körperdarstellungen in der Computertechnik. Dazu habe ich räumliche Flächenraster auf der Grundlage von Fotos als Linienblatt entwickelt. Ein Tuch mit einem rechteckigen schwarzen Raster wurde über unterschiedlich große Objekte gelegt und fotografiert. Die harten Kopien des Rasters bildeten dann eine perspektivische „Raumzeichnung“, die für Landschaftsdarstellungen als Linienblatt dienen konnte. Durch mehrfaches Zeichnen und immer wieder Kopieren entwickelte sich aus der Mischung von Pinselzeichnung und Kopie eine spezifische grafische Struktur die einer Strichzeichnung für den Druck ähnelte. In zwei folgenden Projekten habe ich Kopien von eigenen Fotos mit Transparentweiß überzogen. Diese Untergründe habe ich dann wie Untermalungen in der akademischen Malerei verwendet. Die darüber gemalte Temper ließ durch ihre freie Variation der gefundenen Motive das Ausgangsmaterial nur noch ahnen.


Eckstein

1986 habe ich in dem Projekt „Eins, zwei, drei, vier, Eckstein“ eigene Fotos von präparierten Miniatur-Raum-Modellen wieder kopiert und dann mit Tempera in phantastisch-tropische Landschaften verwandelt. Die vorangegangenen Manipulationen, die harte Kopie und die helle Tönung mit Transparentweiß machten eine grundlegende Verwandlung erst möglich.
In einer Ausstellung wurden alle Einzelergebnisse getrennt gezeigt, ohne dass auf den ersten Blick die gemeinsame Herkunft zu erkennen gewesen wären. Die Miniatur-Modelle in weißen Holzschreinen standen ganz für sich. Die mit dramatischer Beleuchtung gemachten Fotos von den Modellen zeigten scheinbar dramatisch beleuchtete Szenen aus Abbruchhäusern, die Temperabilder erschienen als frei komponierte phantastische Landschaften. Die drei Teile des Projektes hatten auf den ersten Blick nichts gemein. “Alles muß versteckt sein” Wichtig waren mir bei dem Arbeiten die jeweils spezifische Struktur des unterschiedlichen Materials.

„Fundstücke“


1985 entstand ein weiteres Projekt: „Fundstücke“. Das waren Detailfotos von einer Reise in die Bretagne - eine Ladenfront in der Altstadt von Morlaix mit ihren Butzenscheiben. Die Handwerker hatten die einzelnen Scheiben mit Kalkfarbe übertüncht. Andere hatten von innen darauf gekritzelt und gekratzt. Das war wie eine Ausstellung der „Jungen Wilden“, damals eine aktuelle Richtung der figürlichen Malerei in Deutschland. Fotos der Einzelscheiben wurden von mir als Ganze und einzeln dokumentiert und als Untergrund für freie Varianten in Temperamalerei ausgearbeitet. Schließlich wurde die Serie in der ursprünglichen Konstellation der Front des Ladens in einem Rahmen montiert. Diese Montage von Temperabildern für sich sowie als weiteres eine vergleichbare Montage der Dokumentarfotografien wurden gemeinsam ausgestellt. Die komplexe Struktur der ursprünglichen Pinselspuren der Kalkfarbe (wie im abstrakten Expressionismus) auf den Fotos, mit den zeichenhaften Piktogrammen (wie im Pop) hatte von sich aus schon ästhetische Qualitäten.


Medienlandschaften

Bei einem nächsten Projekt habe ich einen Sommer die Veranstaltungsseiten für die Bremer Kinos gesammelt und dann so retouchiert, dass nur noch die menschlichen Figuren und die Rahmen der Anzeigen vom Original zu sehen waren. Auch hier wurde das Originalmaterial unter Beibehaltung ursprünglicher Strukturen grundlegend geändert.

Verkehrsgarten - Herrenhausen


In dem vierten Projekt habe ich postkartengroße Illustrationen für Fahrschulen aus den 50-er Jahren über einen Block mit 54 Feldern unregelmäßig verteilt, wobei an den Rändern alle Felder belegt waren. Dieses Bilderfeld wurde in drei senkrechte Teile zerlegt und ergab dadurch als Großform buchstabenähnliche Superzeichen von je zwei Feldern Breite. Bearbeitet wurden die schwarz-weißen Vorlagen mit weißem und schwarzem Acryl. Freihand wurden auf jede kleine weiße Fläche schwarz und auf jede schwarze Fläche weiße Pinselstrukturen gesetzt. Dadurch wurden die Formen in kleinteilige Strukturen aufgelöst, ohne die Konturen zu löschen. Weiter frei überarbeitet ergab sich die Anmutung einer Stadt von oben gesehen, kleinteilig strukturierte Bereiche wirken wie Strauchwerk, die ursprünglichen Konturen der Strassenkreuzungen sind noch zu ahnen. Die Richtungspfeile auf den Straßen wurden prinzipiell beibehalten, so dass sie wie liegengebliebene Reste von Artefakten in scheinbar natürlichem Umfeld wirken mussten. Der Titel der durch diese Bearbeitungen entstandenen Serie ist „Verkehrsgarten“ und für die späteren Computerstudien „Herrenhausen“. Von der Pinselgrafik existieren drei weitere unterschiedlich strukturierte Detail-Varianten in Schwarz-Weiß und in Farbe.


Müllhalde

Nach diesen überwiegend grafisch angelegten Projekten habe ich 1999 wieder gemalt: eine Übermalung in Acryl von zwei Probedrucken für eine Lithografie. So wurde aus einem Motiv von kleinteiligem Wurzelwerk der Lithos ein anderes kleinteiliges Bild. Zunächst wurden die Stoßkanten in der Mitte so retouchiert, dass sie nicht mehr zu erkennen waren. Die kleinteiligen Farbflächen dieser neuen Struktur wechselten häufig die Farbe, bogenförmige hellgraue Striche stellten Verbindungen zwischen ihnen her, weißliche Flecken wurden unregelmäßig über die Fläche verteilt - das Bild einer Müllhalde im Dämmerlicht - eine „Alexanderschlacht“ aus Abfallmaterialien. Warum nicht direkt - ohne vorgefundene Strukturen - arbeiten? Beim Fabulieren ohne Struktur, auf die man reagiert, wird das Ergebnis leicht formelhaft. Durch den Umgang mit anderem Material bietet dieses fremde Material einen spezifischen Widerstand, der ungewohnte Lösungen möglich macht.

Weltbilder


Ende der 80-er Jahre habe ich mich intensiv mit öffentlicher Kunst beschäftigt. In dieser Zeit war ich Mitglied im Beirat für Kunst im öffentlichen Raum. Schon seit meines Studiums hätte ich gerne eine Arbeit im öffentlichen Raum realisiert. Ende der 80-er Jahre bekam ich einen Auftrag der katholischen Kirchengemeinde in Stuhr (bei Bremen) für ein mehrteiliges Wandbild.
Studien zu den sechs Schöpfungstagen waren schon unabhängig von diesem Auftrag entstanden. Dort hatte ich nacheinander alle Bilder der sechsTage zunächst mit einem Helligkeitsverlauf versehen, das erste Bild wurde in diesem Zustand belassen und dann das folgende durch eine Horizontlinie unterteilt. Im nächsten wurde in die beiden Bildhälften jeweils eine transparente kalte und eine deckende warme Farbe aufgetragen. Das heißt, dass in jedem folgenden Bild die bisher vorgenommenen Maßnahmen schon enthalten und durch eine weitere ergänzt wird. Dem dann Folgenden wurden pflanzliche Elemente hinzugefügt und in den beiden nächsten Bildern Fische und Vögel integriert. Das sechste Bild zeigt zusätzlich Säugetiere. So wurden jeweils in jedem Bild eine weitere Technik angewendet. Mit diesen früheren Bildern und einer Reihe von Studien als Pinselzeichnungen wurde mein Vorschlag für ein Wandbild im Gemeindesaal der St. Paulus Kirche in Stuhr-Moordeich angenommen. Meine Konzeptidee für dieses Wandbild war es, sich auf einen, den dritten Tag, zu konzentrieren. Zunächst, weil damit Aspekte des Umweltschutzes thematisiert werden konnten; weiterhin, weil aus naturwissenschaftlicher Sicht der dritte Tag in dem Schöpfungsbericht der Bibel eine für moderne Menschen ungewöhnliche Reihenfolge der Schöpfung zeigt. Wie eigentlich zu erwarten, werden nicht zuerst die Gestirne mit dem Hell und Dunkel am ersten Tag, sondern erst am dritten Tag, nach den Pflanzen, geschaffen. Es gibt aber einen religionshistorisch nachvollziehbaren Grund für diese Reihenfolge. Die als Heiden betrachteten Nachbarvölker verehrten die Gestirne als Gottheiten, und deshalb, um ein Wiederaufkommen der Vielgötterei zu verhindern, wollte man die Wichtigkeit dieses Teils der Schöpfung, die Erschaffung der Planeten, gezielt herunterspielen. Der dritte Tag galt also als der „Tag vor der Erschaffung der Götter“; in heutigen Worten: die Biosphäre ist wichtiger als das Reich der Herren, ein möglicherweise herrschaftskritischer Ansatz, so dachte ich jedenfalls.


Hier wird deutlich, dass mich besonders die Auseinandersetzung mit mythischen Vorstellungen beschäftigte. Das hängt unter anderem mit meiner streng religiösen Erziehung zusammen.
Die Komposition für das Wandbild-Panorama sollte in sich prozesshaft entwickelt werden: von links, dem Dunklen, noch nicht entwickelten, zum entwickelten Hellen. Weiter rechts bis zum wolkenhaft verschwimmenden Dunkel, ein vierteiliges Nacht-Tag-Nacht-Panorama derselben Landschaft. Für die monomentale Komposition schien es mir wichtig, eine einfache Form als Überfigur zu wählen, wie bei vielen Bildern von Caspar-David Friedrich beispielsweise. Durch die Anzahl der Tafeln entstand eine nicht hierarchische Symmetrie, weil keines der Bilder eine zentrale Position einnimmt. Für den religiösen Inhalt wurde die Beleuchtungssituation besonders berücksichtigt. In der Bibel wird die Erscheinung Gottes mehrfach als diffuses Leuchten oder Strahlen beschrieben. So sollte hier das Licht indirekt durch einen zentralen hellen “Berg“ von Wolken scheinen. Die dargestellte Landschaft sollte der norddeutschen Landschaft um Stuhr ähneln. In den romantischen Landschaften schaffen schroffe Berge im Hintergrund häufig dramatische Effekte. Diese Rolle übernehmen hier die Haufenwolken. Sie erscheinen, wie eine Schutzglocke die sich von der tiefen Dunkelheit des Alls deutlich abhebt. Eine alternative Komposition war ursprünglich eine Art „Weltenbaum“ gewesen, der alles unter ihm liegende beschützt. Zu beiden Kompositionsentwürfen entstanden Skizzen von Landschaften und verschiedenen Wolkenformationen als lavierte Pinselzeichnungen, alle ohne Bildvorlagen, frei aus der Vorstellung.
Die vier Bildtafeln des endgültigen Wandbildes mit dem Gesamtmaß 600 mal 150 Zentimeter war meine erste öffentliche Arbeit. Es ist also nicht nur „Kunst für Kunst“, sondern „Kunst für die Gesellschaft“. Beide Ziele können in den Verhältnissen, unter denen wir leben, nicht absolut verwirklicht werden. In jedem Fall besteht die Forderung, dass die Kunst aus den Ateliers heraus zu den “Leuten“ kommen muss, um sich ganz zu realisieren.

Projekt “Schlachthof”


Andere, aber genauso wichtige Erfahrungen habe ich vorher in der Planungsgruppe zur Gestaltung des Außenbereichs des Kulturzentrums „Schlachthof“ gemacht. Dafür habe ich intensiv an einer Dokumentation der Projekte gearbeitet. Mein ursprünglicher Wunsch, an Bildhauerprojekten für den Außenraum beteiligt zu werden, ist nicht in Erfüllung gegangen. Aus zwei Miniatur-Entwürfen für frei stehende Plastiken, die nebenbei in der Zeit entstanden sind, habe ich später zwei Reliefkästen entwickelt.
In meinem Atelier habe ich eine Serie von figürlichen Flachreliefs aus einer Gießmasse herausgearbeitet. Das waren eine Serie von vier Flachreliefs mit Drachenmotiven und ein vierteiliges Relief zum Thema “Das Paradies, seine Zerstörung und seine Neuschöpfung”. In beiden Reliefserien geht es um Prozesshaftes.